Vortrag von Prof. Dr. Siegfried Zimmer am 16.3.2018 im Forum Fasanenhof
Im voll besetzten Großen Saal des Forum Fasanenhof erläuterte der emeritierte Prof. der PH Ludwigsburg zunächst Ergebnisse der Bibelwissenschaft, wonach es bei keiner der großen Kulturvölker des Mittelmeerraums und im Vorderen Orient Heilige Schriften gegeben habe. Die Religionen dieser Völker waren Naturreligionen, aber keine Offenbarungsreligionen oder Geschichtsreligionen. Diese brauchen keine Heilige Schrift. Das „Alte Testament“ – besser als „Jüdische Bibel“ zu benennen – ist eine Heilige Schrift, weil sie Offenbarungen Gottes enthält.
Eine dieser Offenbarungen wird in 2.Mose 3 erzählt: Als Mose auf den brennenden Dornbusch neugierig zuging, vernahm er zur seiner Überraschung eine Stimme, die ihn namentlich anredete und sagte: „Ziehe deine Schuhe aus …“ Das bedeutet: „Lass alles Angelernte sein, lerne lieber.“ Und weiter: „Ich habe das Elend der ägyptischen Fronarbeiter gehört, ich habe ihr Stöhnen über ihre Antreiber gehört und ich kenne ihre Schmerzen“. Das ist die Wurzel unserer Heilsgeschichte: Die Stimme Gottes war eine Gefahr für die Pharaonen. Auch heute ist sie das für die Mächtigen.
Das Anliegen einer Heiligen Schrift ist es, solche Offenbarungen festzuhalten.
Im Neuen Testament geht es um Jesus v. Nazareth, eigentlich heißt er Jeshua Messiach = Jesus ist der Messias. Oder: „Jesus Christus“ = „Jesus ist der Gesalbte“. Jesus war einfacher Bauhandwerker, hat keine Organisation gegründet und hatte kein Amt. Er selbst hat nichts Schriftliches hinterlassen. Jesus starb jung; das galt in der Antike als eine Strafe der Götter, denn er konnte die Weisheit des Alters nicht mehr schmecken. Jesus ist schmutzig gestorben, ist getötet worden, am Kreuz gehangen. Jesus war ein Mann aus der Provinz, hingerichtet, von den Mächtigen aus dem Verkehr gezogen worden. Und über diesen Mann wurden die meisten Bücher geschrieben! Nach ihm richtet sich heutige Zeitrechnung. Das Geheimnis der Bibel liegt in ihrem Inhalt, ihrer Botschaft!
Aber nicht in einem wortwörtlichen Bibelverständnis, wie es biblische Fundamentalisten meinen. Das macht nur Angst! Eine Inspirationstheorie ist nicht notwendig.
Die positive Bedeutung der Bibel liegt darin:
1.wir wissen alles über den dreieinigen Gott nur aus der Bibel. Wenn die Bibel nicht wäre, wäre unser Wissen über Gott nebelhaft und wenn die Bibel weggenommen würde, wäre die Christenheit gefährdet. Wir können unser Gottes- und Jesusbild nur aus der Bibel gewinnen, es gibt keine anderen Quellen. Es gibt keinen Ersatz und keine Alternative zur Bibel
2.wir haben die Erfahrung gemacht: Gott redet zu uns durch die Bibel, durch den Bibeltext. Wir werden inspiriert und beglückt durch Lesen der Bibeltexte, wir sind darauf angewiesen, d.h. der Inhalt der Bibel ist eine Offenbarung.
3. immer wenn Gott redet, ist es eine Offenbarung. Von sich aus würde niemand darauf kommen! Gott schenkt uns den Glauben durch die Bibel!
Den Heiligen Geist zu erhalten, ist durch Handauflegung und andere Wege möglich, aber alles fußt auf der Bibel. Gott lehrt uns durch die Bibel alles, was zu unserem Heil notwendig ist. Heilsnotwendig ist die Gemeinschaft mit Gott, das ist unser Heil.
Schon Luther, der nicht geringer zu achten ist als die großen Kirchenväter wie Augustinus etc., sagte: die schöpferische Kraft der Bibel steckt insbesondere in ihren Zusagen, z.B. „Ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende.“ Gott hat schon Abraham durch seine Zusage gewonnen: „Zieh aus deinem Vaterland und ich werde dich segnen.“. Auch das Volk Israel hat er beim Exodus durch seine Zusage: „Ich will dich in ein Land führen, da Milch und Honig fließt“ gewonnen, in die Wüste zu ziehen.
In der Bibel steht das hebräische Wort „daba“ für Tat, Wort, Wirkung. Die Wirkung des Wortes geschieht hauptsächlich durch die schöpferische Kraft der Zusage! Das kann nicht von uns selbst gesteuert werden, sondern das bewirkt allein der Hlg. Geist, wo, wann und an wen es Gott will. Luther sagte, der Hlg. Geist wirke nirgends mehr als in der Bibel. Gott hat ein besonderes Verhältnis zur Bibel, er benutzt sie für seine Pläne. Aber das Buch kann die Wirkungseinheit nicht herstellen, nur Gott kann eine Wirkungseinheit zur Bibel herstellen. In geistlichen Dingen ist die Bibel die höchste Autorität, über allen Wissenschaften, Psychologie, ... Alles was Gott durch die Bibel erreichen will, das erreicht er auch! Das ist die höchste Aussage, die möglich ist, in Bezug auf Gott und die Bibel. Göttlich ist nur Gott, nicht die Bibel.
Ich glaube, dass Gott keine Fehler macht im Wirken durch die Bibel, die Bibel ist jedoch nicht fehlerlos oder widerspruchslos. Die Bibel braucht keinen frommen Schutz, sie setzt sich von selber durch. Schutz für die Bibel, das ist nackter Kleinglaube.
Wir lesen die Bibel von Jesus her, denn Jesus ist die Sonne, das Licht, wir lesen sie anders als die Juden.
Der biblische Fundamentalismus spaltet das Christentum. Denn man geht einen Schritt zu weit: Gott ist nicht der wahre Autor der Hlg. Schrift, die einzelnen Bücher und Teile davon sind geprägt vom Schreibstil der Schreiber der jeweiligen Epoche, priesterlich, schwärmerisch, etc....
Fundamentalisten schreiben der Bibel selbst göttliche Eigenschaften zu; aber das stimmt nicht, denn die Bibel ist entstanden. Gott ist nicht entstanden, er war schon immer. Sie ist grammatikalisch geschrieben, Gott braucht keine Grammatik. Die ersten Bücher der Bibel werden von ihnen als historische Abläufe gesehen, die Texte sind aber niemals als historische Berichte zu sehen; sie sind Wahrheit und voller tiefer Weisheit, aber nicht auf der historischen Ebene.
Dem Vortrag schloss sich eine intensive Diskussion zunächst innerhalb aller Teilnehmer an. Aus dem Publikum ergaben sich daraus einige Fragen, die Prof. Zimmer ausführlich beantwortete:
Was sind für Sie Merkmale einer guten Predigt und was für eine Haltung sollte ein Prediger haben?
Ein Prediger braucht ein intensives Sprachtraining. Er soll einfach, authentisch, sinnlich; klar und deutlich, spannend und engagiert formulieren! Mit Tempo, aber nicht zu langsam sprechen; aber auch nicht zu schnell und die Raumakustik berücksichtigen.
Der Hörer muss das Gefühl haben: Ich werde was lernen, was ich vorher nicht wusste.
Textpredigten sollten in der Mehrzahl sein, nicht Themenpredigten
Man muss sich vorher gründlich in den Text hineinarbeiten durch gute Auslegungen der Bibeltexte.
Geistlich gesehen sollte der Prediger in einer echten Liebesbeziehung zu Gott sein.
Es ist eine große Aufgabe, sich an die säkularen jungen Menschen zu wenden ohne fromme Sprüche!
Theologische Basis-Seminare werden bereits angeboten in der NAK-Akademie. Wünschenswert sind einige theologisch ausgebildete Dozenten, die auch Hebräisch und Griechisch beherrschen.
Wie sind die blutrünstigen Stellen im AT mit dem Wesen Gottes (das ja Liebe ist) zu vereinbaren?
Auf Gott ist nur zurückführen, was durch Jesus auf Gott zurückzuführen ist. Nicht aber z.B. die Erzählung über den Mord an den Baalspriestern durch Elia. Der Erzähler war der Meinung, dass es Gott gewesen ist, der den Befehl zur Tötung erteilte. Der Erzähler hat es so erzählt, wie seine Gotteserfahrung damals war.
Gott ändert sich nicht, sondern die Gotteserfahrung der Menschen
Das wichtigste im AT sind eigentlich die Schöpfung, der Exodus und die Sozialkritik der Propheten.
Der Kindermord im NT ist nicht religiös erklärbar.
Das Blutrünstige im Alten Testament ist vor diesem Hintergrund nicht als Gottes Wort oder Wille zu sehen. Bemerkenswert ist auch: wenn Jesus das AT zitiert, erwähnt er nie solche gewalttätigen Stellen.
Die späte reformatorische Entdeckung von Luther
Bei der reformatorischen Entdeckung von Martin Luther gibt es eine Frühdatierung und eine Spätdatierung. Die Spätdatierung stimmt und hat sich von 1957 bis heute durchgesetzt:
- Reue ist die Bedingung der Vergebung
- Deklaratorisch = Priester sagt: Ich stelle fest du hast bereut, also hat Gott dir vergeben
- Luther versteht es nicht als Erklärung für etwas was eh schon geschehen ist.
- Luther sagt. Das „Ich spreche dich los“ ist nicht nur eine Bekräftigung, sondern es geschieht in diesem Augenblick, es ist wie wenn Gott jetzt sagt: „Ich verspreche dir, es ist vergeben!“
- Die Vergebungszusage umschließt das ganze Leben.
- Das Absolutionswort ist eine Zusage, die mit dem Ergreifen rechtskräftig wird.
- Freue dich über dieses Versprechen!
- Du kannst nicht Christ sein ohne zu bereuen, aber du sollst auch kein Theater daraus machen, sondern freue dich über Gottes Vergebungszusage! . .
Gottes Liebe und Gottes Gericht, wie passt das zusammen?
Die entscheidende Grundlage unseres Glaubens ist Gottes Liebe und Barmherzigkeit, das macht mich fröhlich; trotzdem ist es ein Kampf des Glaubens. Die Grundlage ist nicht Gehorsam, sondern dass Gott uns liebt. Das Weltgericht ist die wichtigste Hoffnungsbotschaft, keine göttliche Eskalation am Ende. Gott der Richter ist zunächst Richter der Armen, der Vaterlosen etc. Im Weltgericht werden alle nach ihren Taten geprüft auf Grundlage der Barmherzigkeit. Was du getan hast, ist die Wahrheit der Selbsterkennung, das ist der Sinn des Weltgerichts. Gehe mit fröhlichem Zittern ins Weltgericht, weil, der richtet, ist Liebe!
Was wünschen Sie unserer Kirche für die Zukunft?
Eine gute Mischung aus liebevoller Beziehung zu Gott und den Menschen
Ohne eine gute moderne Bibelwissenschaft geht es nicht.
An der PH Ludwigsburg ist es jetzt möglich, evangelische Theologie zu studieren, ohne evangelisch zu sein. Auch am Institut für ökumenische Forschung in Tübingen müsste es auch Mitgliedern der NAK möglich sein, Theologie zu studieren. Voraussetzung dazu ist, dass man Hebräisch und Griechisch beherrscht.
Die NAK ist auf einem guten Weg, soll aber nicht aufhören zu lernen und er wünscht uns weiter gute Fortentwicklung.
Literatur und Internet-Links:
„Schadet die Bibelwissenschaft dem Glauben? “
(Vandenhoeck & Ruprecht 4.Auflage 2012 ISBN 978-3-525573068)
http://siegfriedzimmer.de/theologisches-leitbild/
http://siegfriedzimmer.de/mein-bibelverstaendnis/
http://worthaus.org/mediathek/