An einem der heißesten Tage (35°C im Schatten) in diesem Sommer trafen 32 Interessierte,
um sich vom Stadtführer Manfred Beyer (BezEv.i.R.) durch Tübingen führen zu lassen.
Von der Neckarinsel aus erläuterte er zuerst das weltberühmte Häuserensemble am Neckarufer
mit Stiftskirche und Hölderlinturm, gab einen kurzen humorvollen Abriss der Geschichte und
umriss das Schicksal Hölderlins. Dann ging es durch die Neckargasse zur Stiftskirche.
Hier erhielten wir einen kurzen aber informativen Überblick über die Reformation in Tübingen.

 

Nachdem 1521 in der benachbarten freien Reichsstadt Reutlingen die Reformation eingeführt war,
hatten etliche Tübinger dort den Gottesdienst besucht und Matthäus Alber predigen hören.
So wünschten sie sich nun, dass auch in ihrer Stadt das Abendmahl in beiderlei Gestalt – Brot und
Wein für alle Gläubigen - gereicht und in Volkssprache gepredigt würde. Da Tübingen aber
württembergische Residenzstadt unter der habsburgischen Herrschaft Herzog Ferdinands
sowie die 1477 von Graf Eberhard im Bart gegründete Universität „gar ein Hort streng
katholischer Lehre“ mit  überwiegend Augustinerchorherren und  nur wenigen Weltgelehrten
als Professoren waren, konnte die Reformation erst 1534 nach der Rückkehr Herzog Ulrichs
aus dem Exil eingeführt werden. Dazu beauftragte er Ambrosius Blarer und Erhard Schnepf.
Nach der ersten evangelischen Predigt von der Kanzel der Stiftskirche verbot der Rektor
der Universität derartige Experimente. Der Widerstand gerade von Seiten der Universität
gegen die Reformation war groß. Ulrich musste auch die Universität reformieren. Er wollte
Philipp Melanchthon damit beauftragen, der in Tübingen studiert und dann gelehrt hatte,
bevor er zu Luther nach Wittenberg ging, aber der sächsische Kurfürst ließ ihn nicht gehen.
Aber Melanchthon erstellte ein Gutachten zur Universitätsreform in Tübingen, zu dem auch
ein Austausch des altgläubigen und überalterten Lehrkörpers gehörte. Das ging zwar nicht
ohne erhebliche Turbulenzen ab, aber schließlich gelang es Johannes Brenz, nach dem Augsburger
Religionsfrieden, dass an der streng lutherischen Universität wieder ordentlich gearbeitet werden konnte.
Ein akuter Pfarrermangel war die unmittelbare Folge der Reformation: Die Pfarrer, die sich weigerten,
evangelisch zu predigen, mussten das Land verlassen – das waren die meisten. Andere
waren willig, aber unfähig. Um dem Mangel abzuhelfen, gründete Herzog Ulrich 1536 im
ehemaligen Augustinerkloster das Tübinger Stift. Begabte männliche Landeskinder erhielten
dort Kost und Logis und die Möglichkeit eines Theologiestudiums auf Staatskosten.
Das Stipendium besteht bis heute, wird aber nicht mehr vom Staat, sondern von der
Evangelischen Landeskirche in Württemberg finanziert. Im Laufe der Jahrhunderte hat
das Tübinger Stift nicht nur berühmte Theologen, sondern auch in anderen Disziplinen
hervorragende Wissenschaftler hervorgebracht: Hier lebten und lernten Theologen wie Johann
Albrecht Bengel, Johann Christoph Blumhardt und sein Sohn Christoph Blumhardt, Friedrich
Christoph Oetinger, Eduard Mörike und Albrecht Goes ebenso wie die Philosophen Georg Wilhelm
Friedrich Hegel und Friedrich Schelling, der Astronom Johannes Kepler oder der Dichter
riedrich Hölderlin. Bemerkenswert ist, dass in der Stiftskirche, ursprünglich katholische
Georgskirche, kein Bildersturm stattfand (mit Ausnahme des Hochaltars) und Georgsbilder,
Lettner, Kanzel u.v.m. erhalten geblieben sind. Nur der Chorraum wurde, da er nicht mehr
für das Chorgebet der Mönche benötigt wurde, zur Grablege der württembergischen Herzöge umgewidmet.
Beim anschließenden Rundgang durch Tübingens Altstadt zeigte uns unser Stadtführer viele
der Plätze und Gebäude, in denen die zuvor genannten Reformatoren gelebt hatten. Wir erfuhren
den Unterschied zwischen Unterstadt (Wohnungen der Handwerker und Winzer/Gogen, größtenteils
klein und eng) und der Oberstadt , wo Professoren usw. wohnten. Manfred Bayer erzählte in
seiner unverwechselbaren Art  auch einige Geschichten aus dem alten Tübingen („Gogawitzle“),
die die Art und Denkweise der Bewohner der Unterstadt erkennen ließen.

 

Es ging über die Wilhelmstraße (schöne Ausblicke über die Stadt) zum katholischen Wilhelmstift,
das der bevorzugte Ausbildungsort des europäischen Adels im 16./17. Jh. war, vorbei am Pfleghof,
Marktplatz (astronomische Uhr von 1511), Holzmarkt, Krummer Brücke (1389) zum Nonnenhaus,
einem Fachwerkbau aus dem 15.Jh., sorgfältig renoviert, mit bemerkenswertem Treppenaufgang
und „Sprachhaus“( = WC über der Ammer). Hier wohnten karikativ tätige Klausnerinnen, die „Nonnen“.
Nach der Reformation wurde es das Wohnhaus des Medizinprofessors und Botanikers Leonhard Fuchs,
der den 1. Botanischen Garten anlegte und nach dem später die Fuchsien benannt wurden.
Auf dem Rückweg zur Neckarinsel kamen wir noch an der Burse vorbei. Sie wurde Ende 15. Jahrh.
für die „Artistenfakultät“ gegründet, an der 14–16jährigen Scholaren, die sogenannten Artisten,
ihre universitäre Grundausbildung erhielten. In den „artes liberales“ (Grammatik, Logik, Rhetorik,
Arithmetik, Geometrie, Astronomie und Musik) machten sie ihren Magister, der sie zum Besuch
der höheren Fakultäten (Medizin, Jura und Theologie) qualifizierte. Berühmte Männer lehrten
an der Burse, u.a. Johannes Reuchlin (1455–1522), der Humanist und Hebraist und auch der Philosoph
Ernst Bloch (gest. 1977).1803–05 baute der Medizinprofessor Johann Ferdinand Autenrieth das Gebäude
zum ersten Universitätsklinikum mit 12 Krankenzimmern um. Am 15. September 1806 wurde hier der
geisteskranke Hölderlin „in Cuhr genomen“ und 231 Tage behandelt. Seit einem Umbau 1971 sind in
diesem Gebäude das Philosophische Seminar und das Kunsthistorische Institut der Universität untergebracht.
Nach dieser sehr lebendigen und informativen Führung (Danke nochmals, das war sehr schön),
begaben wir uns zum Essen beim Neckarmüller direkt am Flussufer unter alten viel Schatten
spendenden Bäumen, um dann als Abschluss  zum „Zwingel“ zu gehen, direkt gegenüber unserem
Treffpunkt auf der Neckarinsel, um eine gemütliche Stocherkahnfahrt auf dem Neckar zu erleben.  

     


Alle Teilnehmer sagten, dieser Ausflug habe sich gelohnt.
Wir hoffen, wieder einmal von unserem BezEv  Bayer geführt zu werden.