Vortrag von Prof. Dr. med. Martin Wabitsch (Ulm)
Der Vortrag (auch schon auf dem IKT 2014 in München gehalten) ist das Ergebnis einer Gruppenarbeit der Arbeitsgruppe
„Medizin„ der Neuapostolischen Kirche (NAK). Er beschäftigte sich mit der rasanten Entwicklung der Biotechnologie
und den heutigen Möglichkeiten zur verbesserten Diagnose und Therapie erbgutbedingter Krankheiten.
Als Kinder- und Jugendarzt an der Medizinischen Fakultät der Universität Ulm ist Martin Wabitsch tagtäglich
in seiner medizinischen Praxis mit den ethischen Problemen und den grundsätzlichen Fragen „Was ist das Leben,
was ist lebenswertes Leben und wie gehen wir damit um?“ konfrontiert.
Da in konkreten Fällen auch die betroffenen Patienten oder deren Angehörige als medizinische Laien in teils
schwerwiegenden Entscheidungsprozesse eingebunden werden müssen, sollte der Vortrag dazu dienen, einerseits
ein gewisses Maß an Basiswissen zu vermitteln, andererseits auch Orientierung für eine christliche Ethik in
diesen Fragen anhand der Stellungnahmen unserer Kirche anzubieten. Das gilt nicht nur, wenn eine künstliche
Befruchtung in Betracht gezogen wird, sondern auch wenn im Rahmen einer Pränataldiagnostik (PND) genetisch
bedingte Defekte im Laufe einer Schwangerschaft diagnostiziert wurden.
Die Grundlagen der Biotechnologie wurden erst vor einigen Jahrzehnten gelegt, angefangen mit der Entdeckung
der molekularen Struktur des Erbmoleküls DNA im Jahr 1953 durch James Watson und Francis Crick.
Ein weiterer Meilenstein war die Entschlüsselung des menschlichen Genoms im Jahr 2000. Seither verringern
sich die Kosten der Genanalytik stetig, sodass viele Analysen bereits nach kurzer Zeit detailreiche
Befunde liefern können. Das ist vor allem wichtig bei Untersuchungen zu Beginn des Lebens, wo sich
nach der Befruchtung einer menschlichen Eizelle mit einem Spermium erst nach 18 bis 24 Stunden die
Vereinigung zu einem vollständigen Kern mit dem vollständigen Chromosomensatz vollzogen hat.
Bis zu diesem Zeitpunkt dürfen nach dem deutschen Embryonenschutzgesetz außerhalb eines mütterlichen
Körpers erzeugte Embryonen eingefroren werden. Nach diesem Zeitpunkt ist die Forschung an menschlichen
Embryonen in Deutschland verboten; allerdings ist die Einfuhr von menschlichen Stammzellen zur Forschung möglich.
Die weitere Entwicklung eines Embryonen führt innerhalb 3 Tagen zum Achtzell-Stadium, in dem jede
einzelne getrennte Zelle sich zu einem kompletten Individuum entwickeln kann; solche Zellen sind
totipotent (Sie besitzen die Fähigkeit, sich zu einem vollständigen Lebewesen zu entwickeln.)
Bis dahin ist eine Präimplantationsdiagnostik (PID) heutzutage möglich, aber in Deutschland nicht zugelassen.
Nach etwa vier Tagen ist das „Maulbeer“-Stadium (Morula) mit etwa 30 Zellen erreicht; danach
differenzieren sich die Zellen und sind pluripotent (Sie besitzen die Fähigkeit, unter geeigneten
Bedingungen alle Gewebe des Körpers zu bilden). Nach bis 6 Tagen 5 beginnt die Einnistung in die Gebärmutter ein;
bis zum dritten Schwangerschaftsmonat entwickelt sich der Embryo zum Fötus, in dem bereits alle Organe angelegt sind.
Die Forschung mit embryonalen Stammzellen ist ethisch problematisch. Die NAK Kirche lehnt es grundsätzlich ab,
dass Leben im Rahmen von biotechnologischen Verfahren getötet wird. Den Embryonen kommt uneingeschränkte
Menschenwürde zu, unabhängig davon, ob die Eizellen natürlich oder im Reagenzglas befruchtet wurden.
Da pluripotente embryonale Stammzellen theoretisch in Zukunft auch gewonnen werden können ohne Embryonen abzutöten,
ist hier die weitere wissenschaftliche Entwicklung abzuwarten. Beim Einsatz von adulten Stammzellen
bestehen aus kirchlicher Sicht keine Bedenken.
Reproduktives Klonen, egal mit welchen Methoden, lehnt die NAK aus ethischen Gründen ab, um die
Einmaligkeit menschlichen Lebens zu respektieren, ebenso therapeutisches Klonen, weil dabei Embryonen
vernichtet werden. Reprogrammierung von Zellen oder andere Verfahren, bei denen keine Embryonen,
bzw. Zellen mit dem Potential sich in einen Menschen zu entwickeln, abgetötet werden, sind aus Sicht
der Kirche unproblematisch. Neue Erkenntnisse biotechnologischer Möglichkeiten können aber durchaus
kurzfristig zu Veränderungen in der Bewertung aus Sicht unseres Glaubens kommen.
Aus Sicht der NAK bestehen gegen eine medizinisch begründete, somatische Gentherapie keine prinzipiellen
ethischen Bedenken. Die Keimbahnmanipulation wird in Übereinstimmung mit anderen christlichen Kirchen
aus ethischen Gründen abgelehnt.
Die NAK gibt im Rahmen ihrer Seelsorge aber nur Empfehlungen für letztlich eigenverantwortliche
Entscheidungen in konkreten Problemsituationen zusammen mit kompetenten Fachleuten.
Die offizielle Stellungnahme der NAK ist herunterzuladen unter
http://www.nak.org/uploads/glossary/DE_Biotechnologie_2012-11-08_GP_MED15_1_Y.pdf