Vortrag von Dr. Mario Quilitz (Saarbrücken)

    

Der Vortrag (auch schon auf dem IKT 2014 in München gehalten) beschäftigte sich mit der Grenzlinie zwischen Wissenschaft und Religion. Dazu wurden die Religion allgemein betrachtet, nicht nur das Christentum oder gar nur die NAK. Definitionen der verschiedenen Religionen sind schwierig zu fassen: Im Christentum und im Islam glaubt man an einen Gott, im Hinduismus an viele verschiedene, während im Buddhismus und Taoismus keine persönlichen Götter existieren, sondern allgemeine Prinzipien gelten, die eher den Charakter von Naturgesetzen haben. Übereinstimmend geben Religionen ihren Anhängern ethische Regeln vor – also Gebote, nach denen sie ein gutes Leben führen sollen. Außerdem geben sie eine Weltbeschreibung von der Entstehung des Universums und der natürlichen und übernatürlichen Wesen darin und versprechen die Fragen nach dem „Woher?“, „Wohin?“ und dem „Wozu?“ zu beantworten.

Die weltweit größten religiösen Gruppen bilden das Christentum (2,1 Millarden) und der Islam (1,3 Milliarden), letzterer mit stark steigender Tendenz. Hinduismus (0,9 Millarden) und Buddhismus (0,4 Milliarden) sind regional begrenzt. Etwa 15 bis 20 % (ca. 1,1 Milliarden) dürfte den Agnostikern und Atheisten zuzurechnen sein, die aber kaum organisiert auftreten und sich auch in ihrer Ablehnung der Existenz übernatürlicher Wesen stark unterscheiden.

Wissenschaft schafft Wissen über alle natürlichen Dinge im Universum: Im Kleinsten über subatomare Teilchen und Atome, über mikroskopisch kleine biologische Strukturen, mit Teleskopen über die Eruptionen auf der Sonne bis hin zu fernen Galaxien. Mit neuesten Techniken sind nicht nur neuronale Vorgänge im Gehirn zu beobachten, sondern auch Signale vom Anfang des Universums, sowie auch die Struktur unserer Gene zu analysieren.
Wir verdanken den Fortschritten in Wissenschaft und Technik letztlich auch eine maßgeblich gesteigerte Lebenserwartung und viele Bequemlichkeiten.
Wissenschaft beschränkt sich auf Aussagen zur natürlichen Realität. Sie beteiligt sich nicht – anders als pseudowissenschaftliche Esoterik – an Spekulationen über Übernatürliches. Andererseits überschreitet der philosophische Naturalismus mancher Atheisten den engen Rahmen des methodischen Naturalismus, indem sie behaupten, Gott existiere erwiesenermaßen nicht. Außer den Naturwissenschaften erfassen auch z. B. Anthropologie, Soziologie, Geschichte, Sprachwissenschaften Aspekte der natürlichen Realität.

Strukturwissenschaften wie z.B. die Mathematik befassen sich mit Strukturen, die wir für die Beschreibung der natürlichen Realität benötigen.
Wissenschaften machen prüfbare und widerlegbare Aussagen bzw. Hypothesen und verlassen sich auf empirische Beweise mittels strenger – von der wissenschaftlichen Gemeinschaft anerkannten - Prüfmethoden, die die Qualität wissenschaftlicher Theorien sicherstellen. Durch Beobachtung und Experiment wird die Natur überprüft. Theorien müssen sich mit einer erweiterten oder veränderten Beweislage ändern und anpassen.
Manche naturwissenschaftlichen Theorien sind sehr abstrakt und nicht mit unserer Alltagssprache, sondern nur über einen mathematischen Formalismus zu erfassen, z.B. die Quantenmechanik. Gerade sie brachte uns inzwischen Früchte, auf die wir nicht mehr verzichten möchten: Computer, GPS, Handys, Flugzeuge etc. Um sie zu benutzen, braucht man diese technischen Errungenschaften nicht zu verstehen. Aber die Einsichten in die tiefere Natur unseres Wissens und der Wissenschaft verändern auch das Denken und die Weltsicht.

Eine oberflächliche Wissenschafts-Euphorie ist aber nicht angebracht: Im Angesicht dessen, was wir nicht wissen oder wissen können, zeigt sich bei intellektueller Ehrlichkeit die wahre Demut der Wissenschaft gemäß Isaac Newton: „Unser Wissen ist ein Tropfen, unser Nichtwissen ist ein Ozean.“
Wissenschaft gibt nicht vor, alles zu wissen oder erforschen zu können, sondern sagt stattdessen, dass sie die Dinge nie sicher weiß. In der Mathematik gibt es streng beweisbare Sätze. In der natürlichen Welt jedoch ist nichts jemals mit kompletter Sicherheit vorherzusagen. Es gibt immer nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit für das Eintreten eines Ereignisses. Eine solche Beurteilung des Wertes von Wissen über seine Wahrscheinlichkeit ist daher keine Schwäche, sondern im Gegenteil eine große Stärke der Wissenschaft.
Dagegen setzt  der religiöse Glaube die absolute Wahrheit der Glaubensinhalte voraus. Im Gegensatz dazu ist Glaube in der Wissenschaft eine vorläufige Annahme, dass ein Sachverhalt hypothetisch wahr sein könnte. Während Zweifel in der Religion fast als krankhaft betrachtet wird, spielt er in der Wissenschaft die wichtige Rolle eines methodischen Instruments zur Korrektur von Irrtümern.
In der Religion bleiben die Kerntheorien unverändert. Neue Informationen werden immer im Licht des bestehenden Dogmas interpretiert. Ganz anders in der Wissenschaft, in der die Theorien im Licht der neuen Informationen neu interpretiert werden, was dann zu einer Änderung, Anpassung oder sogar zu einer Aufgabe der Theorie führen kann.
In der Religion handeln menschliche Autoritäten im Auftrag Gottes; sie werden daher nicht hinterfragt. Ihre Aussagen werden nicht angezweifelt, man schuldet ihnen Gehorsam. Solche Autoritäten gibt es in der Wissenschaft nicht; selbst Einstein oder Newton wussten um die Beschränktheit und die Grenzen ihres Wissens und Könnens.

Theologie ist unter anderem deshalb keine Wissenschaft, weil sie immer an ein dogmatisches System mit unterschiedlichen konfessionellen Prämissen gebunden ist. In diesem System sind  Hypothesen nicht zu testen oder zu widerlegen. Sie beschäftigen sich mit übernatürlichen Dingen, was gegen das naturalistische Postulat verstößt. Das wichtigste Argument gegen die Theologie ist jedoch, dass die große Zahl von Religionen eine entsprechende Zahl von Theologien hervorbringt, die dazu führen, dass diese „Wissenschaft“ abhängig davon, ob sie in Rom, Moskau, Teheran oder Delhi betrieben wird, unterschiedliche Resultate zeitigt.

Im Christentum sind zwei Arten von Gottesbildern sehr verbreitet: Das anthropomorphe Gottesbild beschreibt IHN wie eine menschlichen Person. Gleichzeitig schätzt man aber auch das Bild Gottes als Allmächtiger, Allwissender und Allgegenwärtiger. Die Vermischung beider Bilder führt allerdings zu einer Vielzahl logischer Probleme. So kann man z. B. einem allwissenden Gott keine Eigenschaften wie „Freude“ oder „Reue“ zuschreiben.

Die Schöpfungsgeschichten der Bibel halten dem Vergleich mit den heutigen Erkenntnissen der Kosmologie und der Evolution nicht stand, wenn man deren mythische Darstellungen wörtlich nimmt wie es die Kreationisten immer noch versuchen. Ebenso sind die Begriffe „unsterbliche Seele“ oder „Weiterleben nach dem Tod“ wissenschaftlich nicht zu begründen.

Welche Religion richtig ist, ist wissenschaftlich nicht zu entscheiden. Selbst innerhalb einer Religion gibt es große Probleme, die Heiligen Schriften eindeutig auszulegen, auch weil deren Geschichte oft unsicher sind .

Welche Religion gut ist, lässt sich wissenschaftlich nicht beurteilen. Gute Religion fördert die Liebe, trägt zu einen humaneren Miteinander auf der Welt bei und verbessert so die Situation der Menschen, wogegen schlechte Religion Furcht und Hass vermehrt durch Abgrenzung und Machtansprüche. Jede Religion sollte die Erkenntnisse der Wissenschaften akzeptieren und eine gewisse Allgemeinbildung darüber fördern, vor allem auf ihren Führungsebenen. Der 14. Dalai Lama – Oberhaupt der tibetanischen Buddhisten - fasst dies vorbildlich in die Worte:
„Wenn die Wissenschaft beweist, dass ein bestimmter Glaube meiner Religion falsch ist, so wird sich meine Religion ändern müssen.“