Theologie und Naturwissenschaften, sind das nicht in Wirklichkeit Gegensätze? Genau besehen ist es ein recht moderner Mythos, der dieses Spannungsverhältnis als Konflikt – beinahe sogar als Krieg – darstellen will. Dieses Missverständnis geht auf Veröffentlichungen englischsprachiger Autoren wie J.W.Draper und A.D.White Ende des 19.Jahrhunderts zurück. Insbesondere die Fälle Galilei und Darwin werden in den Medien seither immer wieder genannt, um daran das scheinbare Rückzugsgefecht der Kirche gegenüber einer triumphierenden Wissenschaft zu illustrieren, obwohl beide gläubige Christen waren.
Dr. Andreas Losch – evang. Theologe (Bern) – zeigte in seinem Vortrag, dass dieser scheinbare Konflikt überwunden werden kann, wenn man die beiden Bereiche nicht nur als unabhängig voneinander betrachtet, sondern im Dialog die Fragen konstruktiv-kritisch behandelt. So ist letztlich sogar eine Integration dieser Erkenntnisbereiche möglich. Dabei kommt der Philosophie eine wichtige Rolle als Brückenbauer zu.
Wenn Paulus an die Kolosser schreibt:“ Seht zu, dass euch niemand einfange durch Philosophie und leeren Trug, gegründet auf die Lehre von Menschen und auf die Elemente der Welt und nicht auf Christus (Kol 2,8) …“, so greift er konkret eine bestimmte antike Philosophie auf, deren Vergöttlichung der Elemente er damit ablehnt. Auf dem Areopag in Athen weist er die Philosophen auf den ihnen „unbekannten Gott“ hin, begibt sich also ins Gespräch mit der Philosophie. In den frühen Konzilien spielten philosophische Erörterungen dann eine entscheidende Rolle, z.B. auch zur Formulierung der Trinitätslehre.
Die Bibel zu verstehen heißt, sie ernst, aber nicht wörtlich nehmen. Umgekehrt: Wer die Bibel wörtlich nimmt, nimmt sie auch nicht ernst. Viele Naturforscher der Neuzeit (Kepler, Galilei, Newton) waren der Überzeugung, dass es keine Widersprüche zwischen dem „Buch der Natur“ und der Bibel gibt, wenn man den Inhalt jeweils richtig interpretiert. Materialistischer Atheismus und pseudowissenschaftlicher Kreationismus liefern sich aber bis heute erbitterte Wortgefechte, sind sich aber merkwürdigerweise einig, die Bibel wörtlich zu interpretieren.
Um diesen Konflikten aus dem Weg zu gehen, kann man die beiden Erkenntnisbereiche als unabhängig voneinander betrachten, wie es z.B. Karl Barth formulierte: „Die Naturwissenschaft hat freien Raum jenseits dessen, was die Theologie als das Werk des Schöpfers zu beschreiben hat. Und die Theologie darf und muss sich da frei bewegen, wo eine Naturwissenschaft … ihre gegebene Grenze hat.“ Danach macht die Bibel keine naturwissenschaftlichen Aussagen und die Naturwissenschaft beantwortet die Frage nach Gott nicht.
Wo Grenzfragen auftauchen, können sie nur mit gegenseitigem Respekt zwischen Naturwissenschaftlern und Theologen erörtert werden. Im englischsprachigen Raum ist dieser Dialog wesentlich weiter fortgeschritten als bei uns. Nach J.Polkinghorne (Teilchenphysiker und Theologe; geb. 1930) behalten Naturwissenschaft und Theologie ihre Autonomie auf ihrem eigenen Gebiet, doch die Aussagen, die sie machen, müssen in ihren Grenzgebieten kompatibel zueinander sein. Die Wissenschaft fragt „Wie?“, Religionen fragen „Warum?“, doch die Antworten auf diese Fragen müssen ohne künstliche Verbiegung zusammenpassen.
Ian Barbour (ebenfalls Physiker und Theologe; 1923-2013) geht in seinem 2010 erschienen Buch „Naturwissenschaft trifft Theologie“ noch einen Schritt weiter, indem er die verschiedenen Modelle der Erkenntnis zueinander in enge Beziehung bringt, ohne deren Eigenheiten außer Acht zu lassen. Er schreibt:
„Alle Modelle sind begrenzt und einseitig, und keines liefert ein vollständiges und adäquates Bild der Wirklichkeit.“ Und: „Nur in der Anbetung erschließt sich das Geheimnis Gottes und zeigt zugleich die Anmaßung eines jeden Gedankengebäudes, das beansprucht, die Wege Gottes entschlüsselt zu haben.“
Zum Schluss empfahl Andreas Losch für die religiöse Praxis, dem Kreationismus klar abzusagen, aber dessen Kernthemen wie Sündenfall und Bibelverständnis seelsorgerisch sensibel zu behandeln. Schon in der Sonntagsschule sollte gelehrt werden, wie Bibeltexte angemessen interpretiert werden, um deren tiefen Sinn zu verstehen. Im Religionsunterricht muss insbesondere bei den Schöpfungsgeschichten ein intensiver Dialog mit den modernen Wissenschaften hergestellt werden, der später auch in der Erwachsenenbildung vertieft und aktuell gehalten werden muss. Heutzutage sollte jeder Christ auch über bioethische Fragen gut informiert sein.
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